Der Moment des Angriffs
Das grelle Scheinwerferlicht taucht den Raum in kaltes, hartes Licht. Jedes Flüstern, jedes Rascheln, jede Bewegung scheint unnatürlich verstärkt zu sein. In der Mitte des Raums steht ein Rednerpult, dahinter eine Frau, die sich der Herausforderung stellt. Vor ihr ein Publikum, das auf ihre Worte lauert, bereit, auf jeden Ausrutscher, jede Schwäche zu reagieren. Und dann kommt es, wie ein Pfeil aus dem Nichts – ein Angriff, persönlich, verletzend, unterhalb der Gürtellinie. Das Publikum hält den Atem an, wartet auf die Reaktion. Was wird sie tun? Was kann sie tun?
Ad hominem: Angriffe, die persönlich werden
Dieses Szenario ist kein ungewöhnliches Bild in der politischen oder medialen Landschaft. Ad hominem ist ein lateinischer Begriff und bedeutet wörtlich «gegen die Person». Er bezeichnet einen Diskussionsstil, bei dem jemand nicht das Argument des Gegners angreift, sondern dessen Charakter oder persönliche Eigenschaften. Diese Art von Angriff kann schwerwiegend sein, oft verletzend, und findet in vielfältigen Bereichen statt, von der Politik bis hin zu Social Media.
Ein berüchtigtes Beispiel aus der politischen Landschaft ist der Wahlkampf 2016 zwischen Donald Trump und Hillary Clinton. In einer Debatte nannte Trump Clinton eine «nasty woman» (ungezogene Frau), was nichts mit den politischen Themen oder Argumenten zu tun hatte, sondern eine direkte persönliche Beleidigung war, die nicht auf Clintons politische Ansichten abzielte, sondern auf ihren Charakter, was letztendlich einen nachhaltigen Einfluss auf die öffentliche Meinung hatte. Und gerade dieser Tage hat Trump diesen Ausdruck erneut gebraucht, um die Moderatorin Katlin Collins vor laufender Kameras mit der Bezeichnung «nasty person» zu beleidigen.
Die Psychologie hinter dem Ad-hominem-Angriff ist tiefgreifend. Es ist eine Form der Manipulation, bei der jemand versucht, seine Macht durch die Schwächung der Glaubwürdigkeit eines anderen zu erhöhen. Sie zielt auf emotionale Reaktionen ab und umgeht rationale Diskussionen. Solche Angriffe sind leider an der Tagesordnung. Ob in der Politik, in den Medien oder sogar in der Unternehmenswelt – sie sind ein Werkzeug, das oft verwendet wird, um Gegner zu diskreditieren und Debatten zu dominieren.
Die Psychologie dahinter ist komplex. Oftmals sind diese Angriffe Ausdruck von Frustration oder Unsicherheit, und manchmal dienen sie dazu, die Kontrolle über eine Situation zu erlangen oder das Publikum auf die Seite des Angreifers zu ziehen.
Der Bühneneffekt: Die Rolle des Publikums
Eine der feinen, jedoch entscheidenden Nuancen bei der Bewältigung von Ad-hominem-Angriffen ist die Rolle des Publikums. Oftmals werden persönliche Angriffe nicht nur ausgetragen, um den Gegner zu destabilisieren, sondern auch um die Wahrnehmung der Zuschauer zu beeinflussen. Fachleute sprechen hier vom sogenannten «Bühneneffekt». Dieser spielt sowohl in grossen öffentlichen Diskussionen als auch in kleineren Umgebungen, wie beispielsweise einem Firmenmeeting, eine wesentliche Rolle.
Die Dynamik des Bühneneffekts ist sowohl einfach als auch komplex: Die Anwesenheit von Zuschauern kann dazu führen, dass persönliche Angriffe intensiver wirken und weitreichendere Auswirkungen haben. Es kann dazu führen, dass ein ebenso konfrontativer Konter notwendig wird, um die eigene Position zu schützen und die Fakten wieder ins Zentrum der Diskussion zu rücken.
Nehmen wir beispielsweise an, in einer Diskussion wird Ihnen vorgeworfen: «Sie sind immer so negativ, niemand in unserem Team mag Ihre pessimistische Einstellung!» So wäre das bereits ein klarer Ad-hominem-Angriff, der nicht nur Ihre persönliche Einstellung angreift, sondern auch Ihre Beziehungen zu den Teammitgliedern. Einen solchen Angriff sollte man auf keinen Fall so stehen lassen. Der Bühneneffekt spielt hier eine entscheidende Rolle, weil die Wahrnehmung des Publikums (Ihrer Teamkollegen) durch den Angriff beeinflusst werden könnte. In diesem Fall ist ein Konter notwendig, um Ihre Position und Ihre Beziehungen innerhalb des Teams zu klären und zu schützen.
Und natürlich gibt es auch Situationen, in denen ein Konter nicht notwendig ist. Nehmen wir an, dass Ihnen jemand in einer privaten Diskussion vorwirft: «Sie sind so pedantisch, es ist nervig!» Dann könnten Sie in diesem Fall auf eine ruhigere, diplomatischere Weise reagieren. Sie könnten dann zum Beispiel sagen: «Ich verstehe, dass meine Detailorientierung für Sie frustrierend sein kann. Ich werde versuchen, das zu berücksichtigen.»
In solchen Situationen kann es sinnvoller sein, den Angriff als Feedback zu betrachten und ihn als Möglichkeit zur Selbstreflexion und Verbesserung zu nutzen, anstatt defensiv zu reagieren.
Aber der springende Punkt ist: Der Bühneneffekt spielt hier bei letzterem Beispiel eine weniger entscheidende Rolle, da das Publikum kleiner oder gar nicht vorhanden ist und die potenzielle Auswirkung des Angriffs auf Ihre Reputation somit begrenzt ist.
Strategien der Konfrontation: Wann ist sie nötig?
Jede Situation ist einzigartig und erfordert eine individuelle Beurteilung der Notwendigkeit und Angemessenheit eines konfrontativen Konterangriffs. Das Verständnis der Dynamik und der psychologischen Mechanismen hinter Ad-hominem-Angriffen, einschliesslich des Bühneneffekts, ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer effektiven und respektvollen Kommunikation.
Doch wann ist ein konfrontativer Konter einem eher diplomatischen Weg vorzuziehen? Es gibt bestimmte Fälle, in denen ein Konter nicht nur nützlich sein kann, sondern sogar zur Notwendigkeit wird. Hier sind vier solcher besonderer Fälle, bei denen Sie einen Angriff nicht einfach ignorieren dürfen:
Wenn die Integrität bedroht ist: Wenn ein Ad-hominem-Angriff darauf abzielt, Ihre Glaubwürdigkeit, Ihre Kompetenz oder Ihr Ansehen grundlegend zu untergraben, kann eine konfrontative Antwort notwendig sein, um Ihren Standpunkt zu verteidigen und den Schaden zu begrenzen. In solchen Fällen kann es wichtig sein, den Angriff direkt zu adressieren und zu entkräften, bevor man zur Sachdiskussion zurückkehrt.
Wenn die Angriffe wiederholt oder aggressiv sind: Wenn Ihr Gegenüber immer wieder persönliche Angriffe gegen Sie richtet oder wenn diese besonders aggressiv oder beleidigend sind, kann eine konfrontative Haltung dazu beitragen, diese Taktik zu entlarven und zu unterbinden.
Wenn es ein grosses Publikum gibt: Da wären wir wieder beim Stichwort «Bühneneffekt». In Situationen, in denen ein grosses Publikum zugegen ist, etwa bei öffentlichen Debatten oder in den Medien, kann eine konfrontative Reaktion wichtig sein, um sich nicht als passives Ziel darzustellen und die Kontrolle über die Narrative zu behalten.
Wenn der Angriff auf eine Schwäche zielt, die irrelevant für die Debatte ist: Ad-hominem-Angriffe versuchen oft, eine Schwäche oder einen Fehler hervorzuheben, der für das eigentliche Thema der Debatte irrelevant ist. In solchen Fällen kann eine konfrontative Antwort dazu beitragen, die Irrelevanz des Angriffs aufzuzeigen und den Fokus wieder auf die eigentliche Diskussion zu lenken.
Die Kunst des Umdrehens
Automatisch entsteht daraus die Frage: Wie kann man sich denn gegen einen solchen Angriff wehren?
Ein markantes Beispiel für einen Ad-hominem-Angriff und eine darauffolgende, scharfe Reaktion finden wir in den britischen Unterhausdebatten. Im Jahr 1990 bezeichnete der Labour-Abgeordnete Dennis Skinner die damalige Premierministerin Margaret Thatcher als «Die Eiserne Lady von der Tory-Abzockerbande». Ein eindeutig persönlicher und beleidigender Angriff, der Thatchers Charakter und Parteizugehörigkeit in den Mittelpunkt stellte, anstatt sich auf politische Inhalte zu konzentrieren.
Thatcher reagierte prompt mit der Aussage: «Ich bin stolz darauf, eine Eiserne Lady zu sein. Es ist nicht das Metall in Ihrer Partei, das magnetisch wirkt, sondern das Metall in unserer.»
Dieser kurze und scharfe Konter war in diesem Fall notwendig, da Skinners Angriff vor dem gesamten Unterhaus und somit vor einem grossen Publikum erfolgte. Thatcher nutzte den Angriff zu ihrem Vorteil, indem sie ihn umkehrte und ihre eigene Stärke und Führungsqualitäten betonte. Gleichzeitig wies sie auf die Schwächen der Labour-Partei hin. Ihr Konter zielte darauf ab, ihre Position und Integrität zu schützen und gleichzeitig ihre politische Botschaft zu vermitteln.
Dieses Beispiel zeigt, dass eine konfrontative Antwort auf einen Ad-hominem-Angriff notwendig und effektiv sein kann, insbesondere wenn sie vor einem grossen Publikum erfolgt und die Integrität und Reputation der angegriffenen Person in Frage stellt. Es ist allerdings entscheidend, die Situation sorgfältig zu beurteilen und den am besten geeigneten Ansatz zu wählen, um sich gegen persönliche Angriffe zu verteidigen und gleichzeitig die Diskussion auf die eigentlichen Themen zu lenken.
In einer ähnlichen Situation während des britischen Wahlkampfes 2019 bezeichnete Premierminister Boris Johnson den Labour-Chef Jeremy Corbyn als «einen grossen Gefährder unserer nationalen Sicherheit». Corbyn reagierte auf diesen Angriff, indem er die Behauptung umdrehte und sagte: «Ein Premierminister, der die Wahrheit verdreht und verspricht, was er nicht liefern kann, ist selbst der grösste Gefährder unserer nationalen Sicherheit.»
Wir können aber nicht über das britische Unterhaus sprechen, ohne dabei Winston Churchill zu erwähnen. Als dieser nämlich 1946 das Unterhaus verliess, soll die Abgeordnete Bessie Braddock ihn beleidigt haben: «Winston, Sie sind betrunken, und noch dazu ekelhaft betrunken». Churchill antwortete ihr ebenfalls mit einer Beleidigung und sagte: «Bessie, meine Liebe, Sie sind hässlich, und noch dazu widerlich hässlich. Aber morgen werde ich nüchtern sein und Sie werden immer noch ekelhaft hässlich sein.»
Spontanität und Kreativität: Übungen und Vorbereitungen
Aber wie kann man seine Fähigkeiten in dieser Hinsicht verbessern? Praktische Übungen, wie zum Beispiel das Improvisationstheater, können dazu beitragen, die Schnelligkeit des Denkens und die Kreativität zu verbessern. Darüber hinaus kann eine fundierte Vorbereitung, gepaart mit der Bereitschaft, sich auf mögliche Angriffe einzustellen, dazu beitragen, dass man in der Lage ist, Ad-hominem-Angriffe erfolgreich zu kontern.
Mit meinem «Frontal-Training» biete ich weiblichen Führungskräften die Möglichkeit, ihre Durchsetzungsfähigkeit zu stärken und sich in Konfliktsituationen besser zu behaupten. Das Training bietet Werkzeuge, um mit Selbstbewusstsein und Geschick auf Konfrontationen zu reagieren, ohne dabei die eigene Authentizität zu verlieren. Gerade in einer Welt, die oft von männlichen Führungspersönlichkeiten dominiert wird, erhalten die Teilnehmerinnen die Mittel, um die eigene Stimme zu finden und gehört zu werden.
Mut in Worten und Taten
Unsere Worte sind mächtig und können sowohl als Waffen als auch als Werkzeuge der Verständigung dienen. Wie wir sie einsetzen und wie wir auf Angriffe reagieren, bestimmt oft den Verlauf und das Ergebnis einer Debatte.
Winstons Churchill war für seine Schlagfertigkeit berühmt, von der er selber sagte, nichts würde ihm so viel Vorbereitung kosten, wie eben diese Schlagfertigkeit. In einer der vielleicht schwierigsten Zeit der Menschheitsgeschichte, war er ein Staatsmann, der regelmässig harte Kritik, persönliche Beschimpfungen und Beleidigungen über sich ergehen lassen musste. Daher überlasse ich gerne jenem Mann aus dem britischen Unterhaus das letzte Worte, der nur zu gute wusste, wovon er sprach:
"Mut ist das, was man braucht, um aufzustehen und zu sprechen; Mut ist auch das, was man braucht, um sich hinzusetzen und zuzuhören."
Seien wir also mutig, sowohl in unseren Worten als auch in unserem Zuhören, und lassen wir uns nicht von persönlichen Angriffen davon abbringen, uns auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist.
Onlinekurs:
Wie man klare Grenzen zieht
und durch gezielte Konfrontation sich erfolgreich durchsetzt und kommuniziert.