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The Pursuit of Happiness oder doch eher umgekehrt: Das Glück nach dem Streben?


The Pursuit of Happiness oder doch eher umgekehrt: Das Glück nach dem Streben?

Die meisten Menschen streben nach Status und Erfolg, nicht unbedingt nach Glück.

Und manch andere, die nach Glück streben, verwechseln dieses Glück mit Status und Erfolg.


In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 steht die berühmte Aussage, dass das Streben nach Glück (the pursuit of happiness), das Recht eines jeden Menschen ist.


Sowohl aus psychologischer Sicht wie auch aus lebenspraktischer Betrachtungsweise, finde ich persönlich diese Aussage etwas fragwürdig. Sie impliziert nämlich, dass Glück eine Destination ist. Also etwas, das erreicht werden kann, so als ob man ein Ziel erreicht und man erst durch die Erreichung des Ziels Glück erlangen wird.


Wir alle wissen, so funktioniert das nicht.


The Happiness of Pursuit


Thomas Jefferson, der Hauptverfasser der Unabhängigkeitserklärung, hätte die Aussage «the pursuit of happiness» 180 Grad umdrehen sollen. Er hätte stattdessen schreiben sollen: «The happiness of pursuit.»


Damit hätte er eine komplett andere Perspektive auf das menschliche Streben und seine Bedeutung im Leben dargelegt. Diese Version würde vielmehr darauf hindeuten, dass das Glück nicht unbedingt im Erreichen eines bestimmten Ziels liegt, sondern vielmehr in dem Prozess und der Erfahrung, dieses Ziel zu verfolgen.


Eine solche Formulierung hätte den Fokus von einem festen, oft materiellen Endziel auf den Weg und die Erfahrungen verlagert, die wir auf diesem Weg machen. Es wäre die Akzeptanz dessen gewesen, dass das Streben selbst, mit all seinen Herausforderungen und Lernmöglichkeiten, vermutlich eher die wahre Quelle des Glücks ist. Ganz im Sinne von Henry David Thoreau, der einmal schrieb:

«Was man bekommt, wenn man seine Ziele erreicht, ist nicht so wichtig wie das, was man wird, wenn man seine Ziele erreicht.»

Das wäre eine ehrlichere Darstellung der menschlichen Erfahrung, weil sie die Realität anerkennt, dass das Erreichen von Zielen oft nicht das dauerhafte Glück bringt, das wir uns erhoffen, dafür aber der Prozess des Strebens an sich schon eine Quelle tiefer Zufriedenheit sein kann. So, wie Buddha sagte: «Der Weg ist das Ziel.»



Weniger Anspruchsdenken oder mehr Eigenverantwortung?

Die Umformulierung dieses Satzes hätte vermutlich weitreichende Auswirkungen auf die gesellschaftliche Denkweise haben können. Wenn man nämlich die Betonung vom Erreichen des Glücks (als extern wahrgenommenes Ziel) auf das Finden von Glück im Prozess des Strebens selbst verlagert, könnte das eine Verschiebung von einem Anspruchsdenken hin zu mehr Eigenverantwortung fördern. Und darüber hinaus auch die Einsicht schenken, dass das Glück der Menschen weniger von materiellen Erfolgen oder externen Umständen abhängig ist.


Weil, wenn demnach das Glück tatsächlich ausserhalb von mir zu finden ist, und ich meine Ziele – aus was für Gründen auch immer – nicht erreiche, so ist es danach viel einfacher die Verantwortung meines Misserfolgs abzuschieben und der Welt, der Wirtschaft, der Politik, den Göttern, dem Karma oder gar Donald Trump die Schuld dafür zu geben, dass mir mein Glück durch externe Kräfte verwehrt wurde.


Alles ist Marketing


Natürlich kann man jetzt einwenden, dass die Unabhängigkeitserklärung ja gar nicht das Recht auf Glück verspricht, sondern nur das Recht auf das «Streben» nach Glück, was ja etwas anderes ist.


Jefferson war selbstverständlich klug genug zu wissen, dass Worte Wirkung haben. Ihm war klar, dass eine solch historische Unabhängigkeitserklärung nicht nur inhaltlich was taugen, sondern auch einen gewissen Marketingeffekt erzielen muss.


Die Formulierung «the pursuit of happiness» verkündet den Ruf nach Abenteuer, nach der Eroberung neuer Welten und dem Streben nach grossen Träumen. So etwas erweckt viel mehr Emotionen nach einem Gefühl von «I am the king of the world». Im direkten Gegensatz dazu klingt «the happiness of pursuit» mehr nach einem Trostspruch von «Schuster bleib bei deinen Leisten und sei glücklich mit dem, was du hast».


Ersteres ist prätentiöser, letzteres ehrlicher – das eine ist Marketing, das andere Arbeit.


Ein solcher Spruch fällt in die gleiche Kategorie wie «Tue, was Du liebst», vs. «Liebe, was Du tust.»


Ersteres ist idealistisch, letzteres pragmatisch – das eine ist Verheissung, das andere Akzeptanz.



Erfüllung, Freude, Befriedigung und Glück – was ist was?


Ich habe nichts gegen ein bisschen Inspiration. Aber auf lange Sicht gesehen, kann zu viel Inspiration und zuviel Marketing ohne eine gewisse ehrliche Bodenständigkeit mehr Schaden anrichten als helfen. Daher kann es vielleicht hilfreich sein, wenn wir uns die Begrifflichkeit einiger Bezeichnungen vor Augen halten.


Mir scheint nämlich, dass wir in der Regel selten den Unterschied machen zwischen Glück, Befriedigung, Freude und Erfüllung. Ich stelle eher fest, dass wir diese Bezeichnungen oft austauschbar verwenden, ohne ihre einzigartigen Nuancen und Bedeutungen vollständig zu berücksichtigen.


Das kann problematisch sein.


Was das Lexikon und der Duden für eine Definition dafür verwenden, ist mir persönlich völlig egal. Vielmehr sollten wir das Bewusstsein für uns selbst schärfen, wann wir welche Begriffe im Einsatz haben, und was wir ganz persönlich mit diesen Begriffen denn tatsächlich meinen.


Der portugiesische Dichter und Denker Fernando Pessoa schrieb einmal:

«Wir alle teilen das gleiche Schicksal, unfähig zu sein, auszudrücken, was uns wirklich bewegt.»

Ein Gefühl zu bezeichnen, ist das eine. Es ist aber etwas ganz anderes, das Gefühl, das wir tatsächlich fühlen, auch begrifflich zuordnen zu können. Die Konsequenz davon ist, dass unsere Entscheidungen und Handlungen oftmals nicht wirklich unseren wahren Bedürfnissen oder langfristigen Zielen entsprechen.


Kann man jemandem einen Vorwurf machen, der nach dauerhaftem Glück oder tiefer Erfüllung strebt, sich tatsächlich jedoch durch sein Verhalten in kurzfristigen Vergnügungen nach Befriedigung verliert, und dabei orientierungs- und ahnungslos bleibt, worin sein wahres Glück besteht?


In dieser Hinsicht sind diejenigen unter uns, die für sich selbst das eine vom anderen nicht unterscheiden können, in einem ständigen Zustand des Strebens gefangen. Wir kultivieren ein Leben lang das Streben nach Glück, ohne wirklich das Glück im Streben selbst zu entdecken.



Der äussere Vergleich als Ablenkung unseres Inneren


Wenn Pessoa damit recht hat, dass wir alle das gemeinsame Schicksal teilen, unfähig zu sein, auszudrücken, was uns wirklich bewegt, dann würde das vielleicht so einiges erklären.

Es könnte erklären, dass es dieser Unfähigkeit geschuldet ist, dass wir den Rasen auf der anderen Seite des Zauns immer als grüner empfinden. Dass wir oft dazu neigen, zu idealisieren, was wir nicht haben, während wir die positiven Aspekte unserer eigenen Lebensumstände unterschätzen oder sogar ganz ignorieren.


Diese Unfähigkeit, unsere inneren Empfindungen genau zu benennen, könnte eine Art Schutzmechanismus sein. Sie zwingt uns, unsere Aufmerksamkeit von der oft unerträglichen Welt unserer inneren Gefühle auf die äussere Welt zu verlagern. Dadurch entgehen wir dem Unbehagen, das entsteht, wenn wir nicht genau artikulieren können, was uns innerlich bewegt.


Dieser ständige Drang uns mit anderen zu vergleichen, ist nichts anderes als eine selbstgewählte geistige Betäubung. Wir nutzen sie, um uns eine trügerische Ruhe zu verschaffen – ein kurzlebiges Vergessen, das uns vor der Konfrontation mit unserer eigenen Realität schützt.


Der französische Denker Baron de Montesquieu schrieb vor über 250 Jahren:

«Wenn man sich nur wünschen würde, glücklich zu sein, liesse sich das leicht erreichen. Doch man will nicht nur glücklich sein, sondern glücklicher als die anderen. Und das ist deshalb so schwer, weil wir die anderen für glücklicher halten, als sie sind.»

Was ist wertvoller – das Erlebnis oder die Erinnerung?


«Glück ist nicht etwas, das man erlebt, sondern etwas, an das man sich erinnert.» – Oscar Levant (amerikanischer Komponist)

Der renommierte Psychologe und Nobelpreisträger, Daniel Kahneman, hat ein faszinierendes Konzept zum menschlichen Glück entwickelt, das zwischen zwei Arten des Glücks unterscheidet: dem «erlebten Glück» und dem «erinnerten Glück».


Das «erlebte Glück» bezieht sich auf die Gefühle und Empfindungen, die wir in Echtzeit erleben. Es ist das Glück, das wir in einem gegebenen Moment empfinden, sei es Freude beim Zusammensein mit Freunden oder das Gefühl der Zufriedenheit bei einer erfolgreichen Arbeit. Dieses Glück ist flüchtig und wird oft durch unsere unmittelbaren Umstände und Erfahrungen beeinflusst.


Im Gegensatz dazu steht das «erinnerte Glück». Das ist das Glück, das wir empfinden, wenn wir auf vergangene Ereignisse zurückblicken. Es geht nicht um das, was wir in dem Moment tatsächlich gefühlt haben, sondern um das, wie wir uns an diese Gefühle erinnern.


Kahneman erklärt, dass unsere Erinnerungen oft selektiv sind und dass wir dazu neigen, uns auf zwei bestimmte Momente zu konzentrieren. Zum einen auf den Moment des Glücks oder Unglücks, der die höchste Intensität des Gefühls verursacht hat und zum zweiten, was wir am Ende einer Erfahrung gefühlt haben (Peak-End-Rule).


Das bedeutet, dass unsere Erinnerung an ein Ereignis oft von diesen beiden Schlüsselmomenten geprägt ist, selbst wenn sie nicht die gesamte Erfahrung objektiv repräsentieren.


Ein klassisches Beispiel ist der Urlaub: Während des Urlaubs (erlebtes Glück) könnten wir uns über schlechtes Wetter oder andere Unannehmlichkeiten ärgern. Wenn wir jedoch später auf den Urlaub zurückblicken (erinnertes Glück), erinnern wir uns oft an die Höhepunkte und das positive Gesamterlebnis, wodurch unsere Erinnerung an den Urlaub glücklicher erscheint, als wir uns in manchen Momenten tatsächlich gefühlt haben.


Diese Unterscheidung zwischen erlebten und erinnertem Glück ist deshalb so wichtig, weil sie zeigt, wie unsere Erinnerungen und die Art und Weise, wie wir Ereignisse in unserem Gedächtnis verarbeiten, unsere allgemeine Wahrnehmung von Glück und auch Unglück beeinflussen können. Denn natürlich gilt das auch in umgekehrter Weise. Genau wie positive Erlebnisse in der Erinnerung oft idealisiert werden, können auch negative Erfahrungen in unserem Gedächtnis verzerrt werden. Ein unglückliches Ereignis am Ende eines ansonsten positiven Urlaubs kann dazu führen, dass wir den gesamten Urlaub in schlechter Erinnerung behalten.


Eine Frage der Erwartungen


Während Thomas Jefferson «the pursuit of happiness» bzw. das Streben nach Glück als ein grundlegendes Menschenrecht proklamierte, legt Kahnemans Theorie viel mehr nahe, dass unser Verständnis von Glück nicht nur in der Verfolgung von Zielen liegt, sondern vor allem darin, wie wir unsere Erinnerungen reflektieren und prozessieren.


Ob nun «happiness of pursuit» oder «pursuit of happiness», die beiden Betrachtungsweisen müssen sich nicht widersprechen, sie können sich durchaus ergänzen.


Thomas Jefferson wird selber auch gewusst haben, dass das was wir alle als «Glück» bezeichnen, ein flüchtiges Konzept ist, das sich nicht einfach definieren lässt. Glück und Unglück sind Zustände, die durch zusätzliche andere Faktoren begünstigt werden.


Der im Alter von 99 Jahren kürzlich verstorbene Mulitmilliardär Charlie Munger wurde einmal gefragt: «Sie wirken extrem glücklich und zufrieden. Wie lautet Ihr Geheimnis für ein glückliches Leben?» Munger antwortete darauf: «Die wichtigste Regel für ein glückliches Leben besteht darin, geringe Erwartungen zu haben. Wenn du unrealistische Erwartungen hegst, wirst du dein ganzes Leben lang unglücklich bleiben. Viel besser ist es, mit realistischen Erwartungen durchs Leben zu gehen und alle Ereignisse, die guten wie die schlechten, mit einem gewissen Gleichmut hinzunehmen.»


Lassen wir die Worte dieses aussergewöhnlich erfolgreichen und weisen Mannes auf uns wirken.

RIP - Charlie!


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