Vergangene Woche veröffentlichte die NZZ einen Bericht mit dem folgenden Titel:
Es scheint, dass dieser Artikel einen Nerv getroffen hat. So einige haben sich über diesen Bericht empört. Zumindest ist das die Wahrnehmung, die ich aus den Kommentaren auf LinkedIn entnommen habe.
Aber nicht nur die NZZ scheint das Lachen von Kamala Harris’ als störend zu empfinden. Ihr Lachen wird weltweit bei vielen Berichterstattungen thematisiert. Ganz bestimmt auf der Seite ihrer Kontrahenten – den Republikanern und Trump-Anhängern.
Da ich dieses Thema in meinen Seminaren oft diskutiere, teile ich in diesem Beitrag meine Erfahrung aus der Perspektive eines Kommunikationstrainers. Doch dazu müssen wir erst eine gemeinsame Basis schaffen, worum es denn wirklich geht. Dazu zitiere ich eine Passage aus dem NZZ-Artikel:
«Das Lachen macht Politiker menschlich, aber wie man im Fall von Kamala Harris sieht: Es ist auch eine Frage der Häufigkeit und Lautstärke. Wer ständig lacht, macht sich angreifbar. Es entsteht der Eindruck, dass man die Sache nicht ernst nimmt und sich von Emotionen wegtragen lässt.»
Für unsere Zwecke ist es hilfreich, wenn wir einfach mal versuchen zu vergessen, dass es sich dabei um Kamala Harris handelt. Lass uns vergessen, dass sie gegen Donald Trump antritt. Lass uns vergessen, dass die politische Landschaft in den USA gegenwärtig ein Mienenfeld ist. Denn wenn tatsächlich etwas dran ist mit dem Lachen, so betrifft es nicht nur Kamala Harris, sondern uns alle anderen auch.
Lass mich dir dazu eine interessante Geschichte erzählen, die uns einen spannenden Hintergrund zu diesem Thema geben kann. Und diese Geschichte beginnt an einem unerwarteten Ort. Nämlich, im Weltall.
Wie ein NASA-Debakel die emotionale Intelligenz für die Raumfahrt revolutionierte
Im Oktober 1968 startete die Apollo 7 Mission. Das war die erste bemannte Mission des Apollo-Programms der NASA. Die Besatzung, bestehend aus Walter Schirra, Donn Eisele und Walter Cunningham, hatten den Auftrag, das Apollo-Raumschiff in der Erdumlaufbahn zu testen. Aus technischer Sicht war die Mission ein Erfolg, die Astronauten erfüllten ihr Ziel, aber die Reise offenbarte eine Reihe von Herausforderungen, die nicht technischer Natur waren.
Die Probleme begannen fast unmittelbar nach dem Start. Schirra entwickelte eine schwere Erkältung, die sich schnell auf die anderen Crewmitglieder ausweitete. In der beengten Umgebung des Raumschiffs und unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit wurden die Symptome besonders unangenehm und störend. Die Erkrankung führte zu Irritationen und Spannungen innerhalb der Crew. Schirra, der Kapitän der Crew, wurde zunehmend reizbar und schwierig im Umgang.
Er ging so weit, dass er Anweisungen des Bodenkontrollzentrums in Frage stellte und sogar ignorierte. Die Kommunikation zwischen Raumschiff und Boden wurde zunehmend angespannt und teilweise feindselig. Die Astronauten reagierten oft sarkastisch oder gereizt auf Anweisungen und Fragen. Und ein besonders markanter Moment war die Weigerung der Crew, den Helm während des Wiedereintritts in die Erdatmosphäre zu tragen. Diese Entscheidung war nicht nur gegen das strikte Protokol, sondern auch potenziell hochgefährlich. Die Spannungen an Bord der Apollo 7 eskalierten zu offenen Konflikten mit Mission Control.
Obwohl die Apollo 7 Mission ihre technischen Ziele erreichte und wichtige Daten für zukünftige Mondmissionen lieferte, hinterliess das Verhalten der Crew einen sehr bitteren Nachgeschmack. Die NASA-Führung war schockiert über den Mangel an Disziplin und Professionalität, den die Astronauten gezeigt hatten.
Die Konsequenzen waren erheblich. Keiner der drei Astronauten flog je wieder ins All. Ihre Karrieren bei der NASA waren effektiv beendet.
Terry McGuire und die Rolle der emotionalen Intelligenz bei der Astronautenauswahl
Der NASA wurde klar, dass sie bei der Rekrutierung etwas ändern musste. Sie brauchte künftig Astronauten, die ihre Gefühle unter Kontrolle haben. Leute, die einfühlsam genug für die Emotionen anderer sind und die Fähigkeit besitzen, eine emotionale Verbindung zu anderen herzustellen, selbst wenn sie sich unter höchstem Druck befinden – in einem eingeengten Raum, tausende Kilometer über der Erde schwebend.
Ungefähr zur gleichen Zeit, als dieses Debakel der Apollo 7 Mission stattfand, engagierte die NASA den Psychologen Dr. Terry Maguire, der sich mit der Auswahl und Betreuung von Astronauten auseinandersetzen sollte. Er war Teil des medizinischen Teams, das die psychologische Eignung und Vorbereitung der Astronauten evaluierte.
Während der nächsten Jahre prüfte Dr. Maguire potenzielle Kandidaten und hielt nach Anzeichen bei Astronauten Ausschau, die auf allfällige Depressionen oder Streitsucht hindeuteten. Sein Hauptproblem bestand jedoch darin, dass die psychologischen Bewertungen der Astronautenanwärter oft sehr ähnliche Ergebnisse lieferten.
Trotz verschiedener psychologischer Tests und gezielter Fragestellungen gelang es ihm nicht, tief genug in die Psyche der Bewerber vorzudringen, um verlässlich vorherzusagen, wie sich jemand während einer längeren Mission im Weltraum verhalten würde.
Zu seinem Bedauern musste Dr. Maguire feststellen, dass die herkömmlichen Eignungstests und Interviewmethoden nicht ausreichten, um eindeutige und aussagekräftige Unterschiede zwischen den Kandidaten herauszuarbeiten.
Was hat Lachen wirklich zu bedeuten?
In seinem Bestreben, die Astronautenauswahl zu verbessern, unternahm er eine umfassende Analyse der Audioaufzeichnungen von Bewerbungsgesprächen der letzten zwanzig Jahre. Sein Ziel war es, bisher übersehene Hinweise zu entdecken, die emotional intelligente Kandidaten von anderen unterscheiden könnten.
Dank seines Zugriffs auf die Personalakten konnte er die Entwicklung der ausgewählten Astronauten aus der Vergangenheit verfolgen. Er wusste, wer sich mit den Jahren zu einer starken Führungspersönlichkeit entwickelt hatte und wer aufgrund von Anpassungsschwierigkeiten aussortiert wurde.
Bei der genauen Untersuchung der Aufnahmen fiel Dr. Maguire ein bisher unbeachtetes Detail auf: Einige Kandidaten lachten auf eine besondere Art und Weise – sie lachten über Dinge, die objektiv betrachtet nicht lustig waren.
Die entscheidende Frage, der Dr. Maguire nun nachging, war: Welche Bedeutung hat es, wenn Kandidaten über scheinbar nicht lustige Dinge lachen? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus auf ihre emotionale Intelligenz und ihre Eignung für die extremen Herausforderungen der Raumfahrt ziehen?
Dr. Maguire wurde auf die Forschungsarbeiten von Dr. Robert Provine aufmerksam, einem renommierten Neurowissenschaftler und einer Koryphäe in der Lachforschung, der mit seinen Arbeiten unser Verständnis des Lachens revolutionierte. Dr. Provines Studien offenbarten, dass Lachen oft nicht als Reaktion auf offensichtlichen Humor auftritt, sondern vielmehr in alltäglichen Gesprächen auch an unerwarteten Stellen auftreten kann, zum Beispiel nach banalen Kommentaren. Provine erkannte, dass Lachen primär soziale Funktionen erfüllt, wie das Signalisieren von Zugehörigkeit und das Herstellen von Verbindung.
Diese Erkenntnisse lieferten Dr. Maguire den entscheidenden Kontext für seine Beobachtungen bei Astronautenkandidaten. Er stellte fest, dass das Lachen über scheinbar nichtlustige Dinge ein Indikator für emotionale Intelligenz und soziale Anpassungsfähigkeit sein könnte. Kandidaten, die diese Art des Lachens zeigten, schienen besonders befähigt, subtile emotionale Nuancen wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren, was eine Schlüsselkompetenz für das Leben und Arbeiten unter den extremen Bedingungen im Weltraum ist.
Die Verbindung von Provines neurowissenschaftlichen Erkenntnissen über das Lachen mit Maguires praktischen Beobachtungen führte zu einem Wandel in der Astronautenauswahl. Emotionale Intelligenz und soziale Kompetenz rückten in den Vordergrund und wurden zu entscheidenden Kriterien neben den traditionellen kognitiven und physischen Anforderungen.
Warum soll Lachen angreifbar machen?
Was lernen wir aus dieser NASA-Geschichte?
Wir lernen zwei sehr wichtige Dinge. Das Erste ist:
Die Forschungsarbeiten von Dr. Robert Provine haben klar gezeigt, dass Menschen, die über Dinge lachen, die nicht lustig sind, damit häufig die Fähigkeit zur Empathie und emotionaler Intelligenz zeigen, was in der Kommunikation von unschätzbarem Wert ist.
Aber Achtung! Damit sind jetzt nicht Leute gemeint, die sich über nicht lustige Dinge lustig machen, die Schadenfreude oder ähnliches aufweisen, sondern diejenigen, die durch ihr Lachen Spannungen abbauen, eine angenehme Atmosphäre schaffen und so zwischenmenschliche Beziehungen stärken. Ihr Lachen dient als Mittel, um ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Verständnis zu fördern, selbst in Situationen, die auf den ersten Blick ernst erscheinen. Solches Lachen kann also als ein Ausdruck von Mitgefühl und sozialer Kompetenz verstanden werden.
Doch es gib auch eine Kehrseite dieser Medaille. Und das führt uns zum zweiten Punkt:
In Stresssituationen, wenn wir unter Druck geraten, weil uns vielleicht jemand persönlich angreift, kann ein Umkehrmechanismus dieses Effekts entstehen. Das heisst. Lachen wird in solch einem Fall zu einer Überkompensation, mit dem man versucht, eine Konfrontation zu entschärfen. Mit anderen Worten, das zuvor erwähnte abbauen von Spannungen durch Lachen kann zu einem «Demutsreflex» werden, wie das die Sozio-Linguistin, Deborah Tannen, in ihren Forschungsarbeiten bezeichnet. Dieser Lach-Reflex kann auf manche Menschen tatsächlich wie eine situative Überforderung wirken.
Das Lachen erscheint nicht angebracht, weswegen dieses Lachen durchaus den Eindruck erwecken kann, «... dass man die Sache nicht ernst nimmt und sich von Emotionen wegtragen lässt», wie in der NZZ beschrieben wurde.
Die Rolle des Lachens aus horizontaler und vertikaler Kommunikation.
Aus Sicht horizontaler und vertikaler Kommunikation macht diese Erkenntnis ebenfalls Sinn.
Die «horizontale Kommunikation» orientiert sich nämlich an Gleichheit, Zugehörigkeit und Offenheit, während ihr Pendant, die «vertikale Kommunikation» eher Hierarchie und Autorität betont.
Diese beiden Kommunikationsstile prallen in der Geschäftswelt und der Politik häufig zusammen und können oft zu grossen Missverständnissen führen. Die Forschung zeigt, dass Frauen mehrheitlich zur horizontalen Kommunikationen neigen – aber nicht ausschliesslich. Wohingegen Männer eher zur vertikalen Kommunikation neigen – aber auch hier nicht ausschliesslich.
Horizontale Kommunikatoren tendieren allerdings eher zu diesem «Lachreflex» in Stresssituationen, weil in diesem horizontalen Kommunikationssystem Lachen ein legitimes Instrument der emotionalen Verbindung ist. In der Konfrontation jedoch – wie bereits erklärt – einen gegenteiligen Effekt erzielen kann. Insbesondere in der Wahrnehmung jender Leute, die dem vertikalen Sprachsystem angehörig sind.
Da ich das Konzept der horizontalen und vertikalen Kommunikation bereits schon an verschiedenen anderen Stellen erklärt und vertieft habe, möchte ich hier nicht weiter darauf eingehen. Am Ende dieses Artikels sind jedoch weitere Artikel von mir zu diesem Thema aufgeführt, falls du mehr darüber erfahren möchtest.
Das Lachen von Kamala Harris – eine kurze Fallstudie.
Schauen wir uns einen Video-Ausschnitt an, wo Kamala Harris im Juni 2021 dem Fernsehsender NBC News ein Interview gab. Dabei ging es um die Migranten aus Mexiko, die zu Tausenden über die Grenze in die USA gelangen wollten.
Auf die Frage, weshalb sie als Gesandte für Migration noch nicht vor Ort gereist sei, sagte Harris, «Wir waren an der Grenze. Wir sind an der Grenze gewesen.» Interessant ist, dass sie dabei die Bezeichnung «wir» verwendet. Weswegen der Interviewer – ein vertikaler Kommunikator – sie auch unterbricht und direkt mit der Aussage konfrontiert: «SIE waren nicht an der Grenze!»
Darauf hin sagt Harris: «Ich bin auch noch nie in Europa gewesen.» Und dann fängt sie an zu lachen. Dass sie die Situation als unangenehm empfindet, verrät auch ihre Körpersprache. Sie bewegt sich nervös auf ihrem Sessel.
Das Thema der Migration ist ein sehr ernstes Thema und eine Priorität für die amerikanische Bevölkerung. Ihr Lachen in dieser Situation kann durchaus als eine Übersprungshandlung gewertet werden, weil sie damit versucht, die Konfrontation zu entschärfen. Und das ist der springende Punkt bei der ganzen Sache.
Ist es also legitim von der NZZ zu schreiben, dass «wer ständig lacht, sich angreifbar macht und dadurch den Eindruck entstehen lässt, dass man die Sache nicht ernst nimmt und sich von Emotionen wegtragen lässt»?
Die Antwort ist ein klares und eindeutiges «JA».
Denn vergessen wir nicht: die politische Bühne ist eine sehr vertikale Bühne. Also ein Umfeld, in dem Hierarchie und Revierverhalten dominieren. Das kann man gut oder schlecht finden. Es ist ein Fakt. Wer das als horizontale Kommunikatorin oder Kommunikator ignoriert und häufig an unpassenden Stellen laut lacht, muss damit rechnen, sich beim Gegner angreifbar zu machen. Ein vertikaler Beobachter wird ein solches Lachen stets als Zeichen der Schwäche deuten, nämlich dieser Spannung, erzeugt durch die direkte Konfrontation, nicht gewachsen zu sein.
Ich fasse zusammen:
Ob Frau oder Mann – Lachen ist ansteckend. Lachen ist gesund. Aber Lachen ist noch mehr. Lachen ist nicht nur eine Reaktion auf offensichtlichen Humor, sondern erfüllt vor allem soziale Funktionen, wie das Signalisieren von Zugehörigkeit. Auf der einen Seite hilft uns Lachen, eine empathische Verbindung herzustellen und eine wertschätzende Kommunikation zu fördern. In Stresssituationen hingegen entsteht ein Umkehrmechanismus dieses Effekts: Lachen wird zu einer Überkompensation, mit der man versucht, die Spannung zu entschärfen. Gerade dieser Entschärfungsversuch kann auf viele Menschen wie eine situative Überforderung wirken. Daher kann Lachen in solchen Momenten durchaus auch angreifbar machen – unabhängig vom Geschlecht.
Onlinekurs:
Wie man klare Grenzen zieht
und durch gezielte Konfrontation sich erfolgreich durchsetzt und kommuniziert