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Von der Verzweiflung zur Selbstverwirklichung – eine (fast) buddhistische Anleitung, um Nirvana zu erlangen.

Von der Verzweiflung zur Selbstverwirklichung – eine (fast) buddhistische Anleitung, um Nirvana zu erlangen

«Ad utrumque paratus»

(Mach dich auf alles gefasst)


 

Vergiss für einen Moment die Räucherstäbchen, das Meditationskissen, die Klangschale und die Gebetskette. Leg das spirituelle Gewand beiseite und lass uns gemeinsam die vier edlen Wahrheiten des Buddhismus entkleiden, bis auf das, was sie wirklich sind: ein Reality-Check für die Seele.



Die erste edle Wahrheit: Life is pretty much fucked up.


Egal, was du von Beruf bist – Bäckerin, Pflegefachmann, Bundeskanzler, Metzger, Auftragskiller, Fussballprofi oder Astronautin, technisch gesehen, bist du ein Händler. Du handelst täglich mit deiner Zeit, deiner Energie und deinen Emotionen, immer auf der Suche nach Gewinn und Erfüllung. Doch der Markt ist unberechenbar, Verluste sind unvermeidlich. Das ist ein grosses Problem für dich. Weil auch du dazu neigst, Verluste höher zu werten als Gewinne. Das liegt gewiss nicht an dir, sondern nur an der Tatsache, dass du ein Mensch bist. Und weil das Leben so volatil ist, kann das manchmal eine traumatische Erfahrung sein, wenn man auf so etwas nicht gefasst ist.


Aber es ist nicht die Marktfluktuation, die dich leiden lässt, sondern deine Reaktion darauf.


Buddha sagt, wer spekuliert, weiss nicht, was er tut. Und wer glaubt zu wissen, was er tut, ist bloss eine weitere Koksnase, die keine Ahnung hat, was sie nicht weiss. Denn in der Annahme zu wissen, klammern wir uns an die Illusion der Kontrolle in einem Markt – der seiner Natur nach unkontrollierbar ist.


Buddha lehrt: Was du heute gewinnst, wirst du morgen bereits wieder verlieren. Und was du heute verlierst, kannst du womöglich – wenn das Schicksal es gut meint, dein Karma rein bleibt, und die Sterne dir wohlgesonnen sind – im nächsten Leben wieder zurückgewinnen, vielleicht als Känguru. Aber nur, damit du es dann erneut auf eine noch fiesere Weise wieder verlierest (Känguru wird vom Löwen gefressen).


Und das ganze Spiel fängt wieder von vorne an: Du wirst wiedergeboren als Händler, der gelangweilt sich die Nase bohrt, aussieht wie ein verblödetes Känguru, aber von sich aus überzeugt ist, König der Löwen zu sein.


Alles ist Maya. Alles ist Illusion. Alles ist Leiden.


Aber das ist jetzt noch kein Grund, um von der Brücke zu springen. Buddha hat nämlich für jede dieser edlen Wahrheit eine Anleitung für uns hinterlassen, wie man aus dieser ganzen Misere einigermassen heil rauskommt. Du musst dabei einfach ein bisschen mehr wie ein Händler denken.



Schritt 1: Marktanalyse deiner Selbstverwirklichung


Wie ich zuvor sagte: Es ist nicht die Marktfluktuation, die dich im Leben leiden lässt, sondern deine Reaktion darauf. Alles, was du im Leben tust oder nicht tust, basiert auf deiner natürlichen Veranlagung, Gewinne zu maximieren und Verluste zu minimieren. Oder, wenn dir diese Begriffe besser gefallen: Schmerz zu vermeiden und Freude zu steigern.


Frage dich: Wie reagierst du auf Gewinne und Verluste in deinem Leben? Was machen diese Verluste mit dir? Was machen diese Gewinne mit dir?


Nehmen wir mal an, deine Traumfrau/Traummann hat dich verlassen. Weswegen leidest du wirklich? Leidest du mehr darunter, weil der Traum weg ist oder weil die Frau/Mann weg ist? Leidest du, weil du nicht alleine sein kannst? Leidest du, weil dein Herz gebrochen ist – und falls ja, was heisst das schon? Leidest du, weil dir jetzt niemand mehr am Morgen dein Lieblings-Smoothie ans Bett bringt? Oder leidest du einfach deshalb, weil dein Leben noch immer keinen Sinn ergibt?


Wie auch immer deine Antwortet lautet, es geht mich nichts an. Denn alle möglichen Erklärungen führen unweigerlich zu einem einzigen Punkt: Zu der Story in deinem Kopf, die du dir selber immer wieder und wieder erzählst. Es ist deine eigene gestrickte Geschichte, die das Drama deines Lebens aufrecht erhält.


Akzeptiere einfach, dass du eine Kugel im Flipperautomaten bist, die zwischen diesen zwei Polen – Schmerz und Freude, bzw. Gewinn und Verlust, hin und her springt. Und völlig egal, was dir im Leben widerfährt, du wirst immer eine passende Geschichte dazu erfinden, die dir hilft, deine Wunden zu lecken.


Aber: Du bist nicht nur die Kugel, sondern der ganze Flipperautomat. Du spielst mit dir selbst, durch dich selbst, gegen dich selbst, für dich selbst.


Hast du diese Tatsache erst einmal akzeptiert, bist du bereit für die nächste Stufe und die Heilung kann beginnen.


Falls nicht: viel Spass als Känguru.

Schritt 2: Risikomanagement deiner Selbstverwirklichung


Risiko ist, was übrig bleibt, wenn du glaubst, an alles gedacht zu haben. Also ist das ganze Leben ausschliesslich Risiko, weil wir keine Ahnung haben, was das Leben ist.


Aber spielen wir den Ball flach und halten uns an das, was offensichtlich ist. Nämlich: Dass wir eine biologische Masse sind, die von Gier gesteuert wird. Dafür brauchst du dich nicht zu schämen. Erkenne, dass deine Gier, deine Anhaftungen, Unwissenheit und blinden Flecken, all deine Emotionen steuern. Was vermutlich noch sehr, sehr, sehr lange in deinem Leben so bleiben wird.


Anerkenne die Tatsache, dass du faules Obst bist. Sich so etwas einzugestehen, ist um einiges reifer, als krampfhaft sich vorzugaukeln, eine reife Frucht zu sein. Akzeptiere den unedlen Umstand, dass du ein Wesen mit Verdauung bist. Nimm es an, von ganzem Herzen, dann bist du schon mal in einer guten Ausgangslage, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um loszulassen.


Du merkst, es geht bei dieser ersten edlen Wahrheit vor allem um eines: Akzeptanz. Die Erkenntnis und die Fähigkeit, sich nicht gegen jene Dinge aufzulehnen, die man nicht kontrollieren und nicht verändern kann.


Es gibt nun mal kein Risikomanagement ohne ein gewisses Mindestmass an Selbstwahrnehmung. Atme also tief in deinen Bauch, halte inne und frage dich: Ist diese Reaktion wirklich nützlich? Was ist das Schlimmste, das realistischerweise passieren könnte?


«Meine Freundin/Freund hat mit mir Schluss gemacht! Jetzt kann ich nicht mehr einschlafen und bin einsam.»

So, what?! Du hast jetzt das ganze King-Size-Bett für dich allein und kannst ohne schlechtes Gewissen im Schlafzimmer gamen.


«Mein Boss hat mich raugeschmissen. Wie soll ich nun meine Rechnungen bezahlen?»

So, what!? Dein Boss hat dich sowieso schon immer gehasst und die Rechnungen stammen vermutlich von Dingen, die du gekauft hast, um Leute zu beeindrucken, die du nicht kennst, mit Geld, das du nie besessen hast. Was hätte dir besseres widerfahren können? Vertrau mir: Das Universum ist auf deiner Seite.


«Ich habe eine schlimme Diagnose erhalten! Der Arzt sagt, die Sterberate liegt bei 70%.»


So, what?! Das Leben selbst hat eine Sterblichkeitsrate von 100%. Aber in jedem Fall würde ich vorsichtshalber den Arzt wechseln. Er hätte nämlich auch sagen können: Die Überlebenschancen stehen bei 30%. Böser Arzt, wirklich böser Arzt.


Akzeptiere das Worst-Case-Szenario und mache einfach von da aus weiter, wo das Leben dich hingeführt hat. Etwas anderes bleibt dir sowieso nicht übrig. Denn egal, welches Drama du gerade durchlebst, es gibt für jedes Drama ein noch viel schlimmeres Drama, dass jemand anderes zur gleichen Zeit durchmacht, und du dir nicht einmal in deinen schlimmsten Albträumen vorstellen kannst.


Schritt 3: Erkenne, dass Leben Leiden bedeutet.


Ja, ich weiss. Ich wiederhole hier nur, was ich schon gesagt habe: Life is pretty much fucked up.


Warum also diese Wiederholung?


Erstens, weil mir gerade nichts besseres eingefallen ist.


Zweitens, weil es im Grunde egal ist, was als nächstes kommt. Denn die Pointe des Lebens lautet: Alles ist Samsara – der ewige Kreislauf von Leben und Sterben.


Akzeptieren wir diesen Umstand. Punkt. Dann wird von hier aus alles ein Zuckerschlecken.


Meine persönliche Messlatte ist ohnehin realistisch tief gesetzt. Wer er es in seinem Leben schafft – ohne Verbitterung – den Umstand zu akzeptieren, dass das Leben grundsätzlich aus Leiden besteht, ist für mich bereits so etwas wie ein kleiner Buddha. Die meisten von uns, kommen nämlich gar nie über diese Stufe hinweg.


Für alle anderen Ambitionierten unter uns, denen das noch zu wenig Erleuchtung ist, die mögen mich zur zweiten edlen Wahrheit begleiten.



Die zweite edle Wahrheit: Die Bank gewinnt immer.


Nimm es nicht persönlich, aber du bist ein geborener Loser. Allein die Tatsache, dass du ein Spiel spielen musst, dass du dir einerseits, nicht selbst ausgesucht hast und andererseits, so konzipiert ist, dass du niemals gewinnen kannst, erklärt bereits das Kleingedruckte, dass ich mir an dieser Stelle gerne ersparen möchte. Also komme ich gleich zu Buddhas Empfehlungen. Vielleicht ist jetzt doch ein guter Zeitpunkt, ein Räucherstäbchen zu zünden oder etwas anderes, das Rauch erzeugt.

Schritt 1: Eliminiere die Karotte


Wer tatsächlich glaubt, gegen die Bank gewinnen zu können, ist das Goldlöckchen unter den Hamstern. Zu diesem sage ich nur: Lauf schneller, mein Freund, vielleicht erwischst du diesmal die Karotte.


Denn jedes Mal, wenn wir denken, wir hätten es geschafft, verschiebt sich das Ziel. Das neue Smartphone wird alt, der schicke Job ist jeden Montagmorgen ein Albtraum, und der perfekte Partner... nun, niemand hat uns vorhergesagt, dass Perfektion schnarcht, sie abgeschnittene Zehennägel im Bad rumliegen lässt oder Socken im Wohnzimmer verteilt. So rennen wir also weiter, jagen dem nächsten Traum hinterher, nur um festzustellen, dass die Zufriedenheit genauso schnell zerrinnt, wie Wasser durch die Finger. Das einzige, was wir wirklich dabei ansammeln, sind Enttäuschungen und Spielzeuge, die kein Mensch braucht.


Bei dieser zweiten edlen Wahrheit merken die ersten, dass es mit der Akzeptanz doch nicht so einfach ist, wie sie sich das vorgestellt haben, weil sie noch immer ziemlich viel Energie mit Dingen vergeuden, die absolut keinen Sinn machen.


Wenn also auch du ein kleines Bisschen die Schnauze voll davon hast, diesen Karotten hinterherzurennen, nimm dir die Zeit und frage dich: Wo bin ich im Leben «überinvestiert» – emotional oder materiell? Identifiziere Bereiche, in denen du zu stark an Ergebnissen hängst, sei es in der Karriere, in persönlichen Beziehungen oder in deinem Selbstbild.


Auf einmal wirst du eine Karotte nach der anderen entdecken. Wo eine Karotte ist, findest du auch noch eine zweite Karotte, eine dritte wird folgen, dann eine vierte und so weiter. Irgendwann wirst du merken, dass du, ohne jemals ein Vegetarier gewesen zu sein, dein ganzes Leben nur aus lauter Karotten besteht.



Schritt 2: Nimm die blaue Pille


Von der Verzweiflung zur Selbstverwirklichung – eine (fast) buddhistische Anleitung, um Nirvana zu erlangen

Ich hätte jetzt auch sagen können, nimm die rote Pille. Weil es egal ist, welche Farbe sie hat. Das einzige was zählt, ist, dass du sie runterschluckst.


Rot oder blau, beides sind unterschiedliche Währungen, die dieselbe Bank ausgibt. Blau wird blaue Erfahrungen machen. Rot wird rote Erfahrungen machen. Alles andere ist Dekoration, Erklärung, Hintergrundrauschen. Die Bank stellt die Bedingungen und bietet dir Möglichkeiten, an einem Spiel teilzunehmen, dass nur ein Wahnsinniger zu verstehen versuchen würde. Und es gibt ja auch ein paar Genies, die das versucht haben. Bei keinem hat es ein gutes Ende genommen.


Vielleicht sagte Henry Miller deshalb: Es gibt nur einen Weg das Leben zu verstehen, in dem wir es leben.


Aber hier stehen wir nun, am Schalter dieser metaphysischen Bank, die Entscheidung fest in unserer Hand – oder besser gesagt: auf unserer Zunge. Es ist ein Spiel ohne Regeln und doch mit dem strengsten Regelwerk, das man sich vorstellen kann: dem des Lebens selbst.


Du wirst herausfinden, dass, egal ob rot oder blau, die Pille nur der Anfang ist. Der eigentliche Trip beginnt erst, wenn du aufhörst, dich auf die Farben zu konzentrieren, und anfängst zu erkennen, dass du selbst der Bankier bist, der Dealer und der Spieler in einem.


Das Spiel zu spielen, ohne zu versuchen, es zu gewinnen, könnte der Schlüssel sein. Denn in diesem kosmischen Kasino ist das Haus, die Bank – das Universum selbst – immer im Vorteil. Die Weisen, die Verrückten und die Träumer, die sich Äonen vor dir bereits an dieses Spiel gewagt haben, konnten keine endgültigen Antworten finden, aber sie entdeckten unzählige Perspektiven, das Unerklärliche zu beschreiben.


Daher, ob nun rot oder blau, schluck einfach diese Pille runter und bereite dich darauf vor, dass das Spiel beginnt.


Aber vergiss nicht, am Ende könnten wir alle nur Figuren in einer göttlichen Komödie sein, die zu ernst genommen, jeden Humor verliert.


Es gibt einen guten Grund, warum Cypher in «The Matrix» seine Freunde verraten hat. Erinnere dich an die Schlüsselszene, wo Cypher genüsslich ein Steak isst und sagt:


«Ich weiss, dass dieses Steak nicht existiert. Ich weiss, dass, wenn ich es in meinen Mund stecke, die Matrix meinem Gehirn vorgaukelt, dass es saftig und köstlich ist. Nach neun Jahren … weisst du, was ich begriffen habe? ... Ignoranz ist ein Segen.»


Von der Verzweiflung zur Selbstverwirklichung – eine (fast) buddhistische Anleitung, um Nirvana zu erlangen


Schritt 3: Entscheide, wie tief du in den Kaninchenbau willst


Wenn du glaubst, schlauer zu sein als Cypher und dich von seiner Erkenntnis nicht abschrecken lässt, dann offenbart sich dir mit jedem Schritt tiefer in den Kaninchenbau eine Wahrheit, die so vielschichtig ist, dass jede Enthüllung nur zu weiteren Fragen führt.


Unterwegs wirst du jedoch merken, dass es noch immer viel zu viele dieser verdammten Karotten gibt, die dein Leben weitgehend bestimmen. Es sind so viele Karotten, dass du dich irgendwann unweigerlich fragen wirst, ob Cypher womöglich doch recht hatte. Und dann verspürst auch du auf einmal ein unstillbares Verlangen nach einem saftigen Steak, wo die Karotte endlich wieder zu ihrer wahren Bestimmung findet und zu dem wird, was sie schon immer hätte sein sollen: Beilage.


Aber hey! Du entscheidest.


Wie tief möchtest du wirklich gehen?


Steckst du erst einmal drin, erkennst du, dass der Kaninchenbau kein linearer Tunnel ist, sondern ein verzweigtes Labyrinth, das in alle Richtungen führt. Jeder Pfad birgt eigene Geheimnisse, jede Abzweigung ist eine Einladung zur Selbstentdeckung.


In dieser Phase des Abstiegs wird klar, dass die Karotten – jene verlockenden Versprechen von Erkenntnis und Erfüllung – nur Wegmarken sind. Sie führen dich zu tieferen Einsichten darüber, wer du bist oder was du sein könntest. Aber die Last des Wissens wiegt schwer, wenn du erkennst, dass jede Antwort nur Teil eines noch grösseren Rätsels ist – Teil einer noch viel grösseren Karotte.


Wie tief du in den Kaninchenbau vordringen willst, ist im Grunde genommen weniger eine Frage der Tiefe, als vielmehr eine Frage dessen, wie weit du bereit bist, hinter dir zu lassen, was du bisher als wahr angenommen hast. Es ist eine Entscheidung darüber, wie du das Unbekannte umarmst, wie du mit der Unendlichkeit des Nichtwissens tanzt, um dich selbst zu überschreiten, deine eigenen Grenzen zu erkunden und womöglich auf all das zu verzichten, was dich bisher definiert hat.


Um dich in diesem Kaninchenbau einigermassen zurechtzufinden, setzt es ebenso deine Bereitschaft voraus, in Kauf zu nehmen, dass du womöglich den Ausgang aus diesem Bau nie wieder finden wirst.


Wähle also weise, denn jede Tiefe hat ihre eigenen Schatten und ihr eigenes Licht. Auf deinem Abstieg in diesen Kaninchenbau, solltest du daher die Worte von Sartre wie eine leuchtende Laterne vor dir her tragen:


«Wenn ihr eure Augen nicht gebraucht, um zu sehen, werdet ihr sie brauchen, um zu weinen.»

Die dritte edle Wahrheit: Erkenne, dass du die Bank bist.


Nachdem du immer besser gelernt hast, die Leiden deines Lebens zu akzeptieren und auch erkennst, dass du in diesem Labyrinth nicht nur Suchender, sondern auch Schöpfer deiner eigenen Pfade bist, kommt der eigentliche Cypher-Moment:



Schritt 1: Öffne deine Augen

Während die anderen bei der zweiten edlen Wahrheit hängen geblieben sind und weiterhin Nabelschau betreiben und sich die Seele ausheulen, fängst du jedoch an zum ersten Mal mit deinen Augen wirklich zu sehen und erkennst, was schon die ganze Zeit direkt vor dir war. Langsam dämmert es dir, dass du jede einzelne Karotte in deinem Leben selbst fein säuberlich geschält und sie dir vor deine eigene Nase gehalten hast, um ihr dann blindlings hinterher zu rennen.


Du begreifst auf einmal, dass der ganze Schwachsinn über rote und blaue Pillen nur dazu diente, deiner eigenen Geschichte im Kopf ein wenig Dramaturgie und ein bisschen Spannung zu verleihen, damit du das Gefühl hast, etwas Besonderes zu sein und etwas Wichtiges zu tun.


Was zu Beginn nur ein intellektuelles Konzept war, geistige Akrobatik, bekommt nun mehr und mehr greifbare Umrisse. Du realisierst, dass du mit diesem Scheiss sofort aufhören könntest, wenn du es nur wirklich wolltest. Aber, das sagt sich so einfach. Deine Nerven liegen blank. Deine Emotionen sind ein Feuerwerk. Das einzig Sinnvolle, dass du in einem solch erhellenden Moment artikulieren kannst, ist:


«Fuck die Bank!»


«Fuck die Karotte!»


Womit du genau genommen nichts anderes sagst als: «Fuck myself.»


In der Tat: Fuck yourself!


Alles in dir bricht zusammen. Aber irgendwie auf eine gute Weise. Auf einmal tut es nicht mehr so weh. Du erkennst die Vorteile, dein King-Size-Bett mit niemandem teilen zu müssen und findest Erfüllung darin, ohne schlechtes Gewissen im Schlafzimmer gamen zu können. Der Jobverlust ist auf einmal kein Fluch mehr, sondern vielmehr ein Segen. Und bei der schlimmen Diagnose stellt sich heraus, dass der Arzt die Patientenakten versehentlich vertauscht hat (böser Arzt, wirklich böser Arzt).


Alles fühlt sich so befreiend an. Es scheint, wie eine kleine Erleuchtung zu sein. So sehr, dass manch einer sich in dieser Phase auf den Balkon stürzt und voller Inbrunst auf die Quartierstasse herniederschreit: «Satori! Satori! Ich habe Moksha erlangt!»


Äh … Nein. Hast du nicht.


Dir ist nur gerade bewusst geworden, was für ein Idiot du dein ganzes Leben lang gewesen bist und dass du all das Geld für Selbsthilfebücher und Seminare hättest sparen und stattdessen in die Anzahlung für eine erste Hypothek investieren können.


Das einzige, was du jetzt wirklich getan hast, ist, du hast soeben eine weitere Karotte in deinem Leben erzeugt.

Von der Verzweiflung zur Selbstverwirklichung – eine (fast) buddhistische Anleitung, um Nirvana zu erlangen






Schritt 2: Ankommen, ohne hinzugehen.


Nach diesem kleinen Wirbelsturm im Wasserglas deiner Existenz, guckst du zuhause auf die leere Wand deiner Selbstverwirklichung und suchst noch immer nach Antworten, worum es hier eigentlich geht. Tief aus den dunkelsten Ecken deines Unterbewusstseins steigt der verlockende Duft eines weiteren saftigen Steaks hoch. Für einen kurzen Moment wirst du schwach. Dir läuft bereits das Wasser im Mund zusammen. Bis dir dann klar wird, dass es nur die Räucherstäbchen sind, die noch immer dein Gehirn vernebeln.


Du erkennst, dass du die Antworten, nach denen Du suchst, alleine nicht finden kannst. Aber das Handtuch zu schmeissen, kommt für dich nicht in Frage. Schliesslich hast du dich committed. Du bist besser als dieser Cypher. Und für den Fall, dass du Vegetarier bist, sagst du dir sowieso «Fuck das Steak.»


Du tust also das Naheliegende. Du tust das, was jeder Erst-Weltler tut, der meint, sein Hamsterrad hinter sich zu lassen, weil er glaubt, eine tiefere Bewusstseinsdimension erreicht zu haben.


Du buchst einen Flug nach Indien.


In deinem geschützten 5-Sterne-Ashram begegnest du zum ersten Mal deinem Guru. Dein Herz pocht. Die langersehnte Transformation rückt in Reichweite. Doch nach ein paar Wochen Meditation, Gesang und ein paar Tausender weniger auf dem Konto, bist du zwar einiges entspannter, aber du empfindest dennoch eine gewisse Ernüchterung.


Dass du das Steak in deinem Bewusstsein mittlerweile nicht mehr riechst, hat allerdings weder mit einer spirituellen Errungenschaft zu tun noch damit, dass du den Cypher-Moment überwunden hast, sondern das liegt nur daran, dass der Geschmack des Currys einfach nur viel ätzender ist, und nach all diesen Wochen noch immer förmlich aus deiner Haut qualmt.


Du bist mit vielen Fragen zu deinem Guru hingereist und bist mit noch mehr Fragen wieder zurückgekehrt. Und das Erhellendste, was dein Guru dir sagen konnte, war: Das Leben ist eine Konstante.


Zuhause angekommen, guckst du wieder auf die gleiche leere Wand und erkennst, dass du genauso gut hättest, daheim bleiben können. Denn es ist vermutlich, wie Yvon Chouinard, der Gründer von Patagonia, einmal in einem Interview sagte: «Es gibt Leute, die glauben, Reisen würde sie verändern. Wenn du die Reise kompromittierst, ziehst du als Arschloch los und kehrst dann als dasselbe Arschloch zurück.»


Die gleiche Logik trifft auf so manchen Suchenden zu, der ahnungslos seiner Karotte hinterher rennt.


Der Kern dieser dritten edlen Wahrheit besagt in einfachen Worten: Mach deine Hausaufgaben. Die Betonung liegt hierbei auf Haus. Was du nämlich zuhause nicht auf die Reihe kriegst, kriegst du anderswo auch nicht geregelt. Wo auch immer du hingehst, nimmst du dich mit. Die Karotte in Indien ist noch immer dasselbe Gemüse, das du von zuhause mitgebracht hast.



Schritt 3: Meditiere


Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.


Von der Verzweiflung zur Selbstverwirklichung – eine (fast) buddhistische Anleitung, um Nirvana zu erlangen


Die vierte edle Wahrheit: Der Jackpot – Beende das Leiden.


Die erste edle Wahrheit lehrt uns: Leben ist Leiden. Je eher wir diesen Umstand akzeptieren und damit zurechtkommen, umso besser für uns.

Die zweite edle Wahrheit lehrt uns: Dass wir selbst, mit unserer Gier, Ablehnung und Unwissenheit die Hauptursachen dieses Leidens sind, und wer das nicht kapieren will, für den Rest seines Lebens ein heulendes Känguru bleibt.


Die dritte edle Wahrheit lehrt uns: Dass es möglich ist, dieses Leiden zu beenden. Und zwar indem man lernt, seine eigenen Projektionen und Anhaftungen loszulassen. Oder einfacher gesagt, indem man endlich damit aufhört, seinen eigenen Karotten hinterherzurennen.


Theoretisch erlangt man mit diesen drei edlen Wahrheiten Nirvana. Theoretisch! Praktisch, ist das jedoch eine ganz andere Geschichte. Und genau an dieser Stelle kommt die vierte edle Wahrheit ins Spiel.


Die vierte edle Wahrheit ist die Bedienungsanleitung. Sie ist das buddhistische Regelwerk, wie man diese ersten drei (theoretischen) edlen Wahrheiten (praktisch) verwirklicht. Wem es also wirklich ernst ist mit der Erleuchtung und es vermeiden möchte, den Rest seines Lebens als Känguru zu verbringen, muss den Achtfachen Pfad praktizieren.


Da diese vierte edle Wahrheit allerdings nur eine Wiederholung dessen ist, was wir zuvor bereits besprochen haben, beschreiten wir diese acht Pfade gemeinsam im Sinne einer praktischen Zusammenfassung:



Der erste Pfad (Rechte Sicht): Sehe die Welt, wie sie ist …

… und nicht, wie du sie gerne sehen möchtest. Solange du nur deine Karotten siehst, hast du nichts gesehen, nichts begriffen und noch weniger verstanden. Weshalb es dir auch nicht möglich sein wird, dass Leid, dass dir widerfährt zu akzeptieren. So gesehen, macht es auch keinen Sinn, die nächsten 7 Pfade zu beschreiten. Aber: Wenn du das Karotten-Theater entlarvst und durchschaust, Respekt.


Der zweite Pfad (Rechte Absicht): Sei kein Arsch.

Der zweite Pfad verlangt von dir, dass du das mit deinen Hintergedanken sein lässt. Erkenne, was falsch und unethisch ist. Lass ab von allem, was moralisch fragwürdig ist. Dazu muss man nun wirklich kein Genie sein. Das geht auch ohne sich mit dem kategorischen Imperativ von Kant auszukennen.


Der dritte Pfad (Rechte Rede): Erzähl kein Scheiss.

Worte haben Wirkung – im Guten wie im Schlechten. Aber da du ja auf dem zweiten Pfad gelernt hast, gut zu sein, solltest du deine Worte entsprechend dafür einsetzen und es tunlichst unterlassen, üble Rede zu verkünden. Und wenn wir schon dabei sind: Zu erzählen, dass die Erde eine Scheibe ist, ist ebenso wenig hilfreich, um ins Nirvana zu gelangen.


Der vierte Pfad (Rechte Handlung): Sei ein Pfadfinder.

Reden ist Silber, handeln ist Gold. Nachdem du akzeptiert hast, dass die Welt pretty much fucked up ist, du nur noch edle Absichten hegst, und dass auch noch ohne Mist zu erzählen, ist der vierte Pfad die logische Schlussfolgerung: Lass Taten deinen Worten folgen. Dazu gehört die ganze Palette, die wir auch schon anderswo gehört haben: Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht mit der Frau des Nachbarn vögeln und so weiter und so fort.


Der fünfte Pfad (Rechter Lebenserwerb): Hustle Baby, hustle!

Da auch Erleuchtete zwischendurch Hunger haben, braucht man Geld, um sich von Zeit zu Zeit ein Steak, eine Karotte oder von mir aus auch ein Curry zu leisten. Aber die Kohle muss ja von irgendwo her kommen. Und weil du auf dem vierten Pfad gelernt hast, dass man nicht stehlen darf, muss das Geld auf ehrliche Weise verdient werden (abgesehen vom Betteln). Aber ehrlich reicht den Buddhisten nicht. An diesem Punkt verstehen die keinen Spass. Mit rechtem Lebenserwerb meinen sie so ziemlich alles, was keinem lebenden Wesen Schaden zufügt. Und das schränkt das Job-Angebot ziemlich arg ein. Was vielleicht auch der Grund ist, dass das Arbeitsamt keine Buddhisten einstellt.


Der sechste Pfad (Rechtes Streben): Sei kein Schwächling.

Hier kommt er wieder, der Cypher-Moment. Nach den ersten fünf Pfaden bist du ziemlich gut unterwegs und kurz vor dem Nirvana. Aber kurz davor ist noch immer nicht verwirklicht. Und obschon du in dieser Phase fast wie eine halbe Mutter Theresa bist, kommt dennoch ein rebellisches Aufbegehren in dir hoch. Denn irgendwie fühlt sich das Nirvana für dich so weit entfernt wie noch nie (Karotte!). Du zweifelst den Pfad an, den du begehst – genauso wie Cypher gezweifelt hat. Daher würdest du jetzt am liebsten den Bettel hinschmeissen. Deine Freunde verraten. Die Welt verraten. Die Frau des Nachbarn vögeln, und gemeinsam mit ihr und dem Aston Martin deines Nachbarn dich über alle Berge machen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber genau deswegen will uns dieser sechste Pfad daran erinnern, stets weiter für das Gute zu streben, um nicht vom rechten Weg abzukommen. Er verlangt von dir, diese kindischen und karottenhaften Ambitionen hinter dir zu lassen. Der sechste Pfad verlangt eiserne Disziplin und ein klares Ziel vor Augen. Unterdrücke deine Begehren, deinen Neid und deine cholerischen Ausfälle. Trink eine Chai-Latte und bleib einfach nur cool.


Der siebte Pfad (Rechte Achtsamkeit): Sitze stets auf Nadeln.

Das klingt jetzt wie ein Widerspruch, denn Buddhisten gehören ja bekanntlich zu den entspanntesten Menschen auf der Erde. Aber wenn du es dir mit dem Nirvana nicht verbocken willst, ist dieser siebte Pfad nicht zu unterschätzen. Mit «auf Nadeln sitzen» ist in diesem Falle gemeint, dass du ständig auf der Hut sein musst – permanent in der Selbstgewahrsamkeit. Hast du vielleicht gerade einen schmutzigen Gedanken gehabt? Pfui! Erkenne umgehend, dass du diesen schmutzigen Gedanken gehabt hast. Lass ab davon! Ist dir ein unpassendes Wort aus dem Mund gefallen? Dann sei dir auch dessen bewusst, was du damit angerichtet hast. Selbst wenn du glaubst, auf der Zielgeraden zu sein, werde jetzt auf keinen Fall überheblich oder nachlässig. Der kleinste unachtsame Furz an der falschen Stelle, kann dich die Erleuchtung kosten.


Der achte Pfad (Rechte Sammlung): Sei keine Flipperkugel, meditiere!

Weil Buddha erkannte, dass wir Menschen ein zuckendes Nervenbündel sind mit unberechenbaren Verdauungsstörungen, hat er mit diesem achten Pfad entsprechende Gegenmassnahmen ergriffen. Indem wir regelmässig unseren Geist konzentrieren, um ihn in einen Zustand tiefer innerer Ruhe und Sammlung zu bringen, führt uns das zu mehr Klarheit und Stabilität. Aber es soll vor allem eines damit bezweckt werden: Nicht abgelenkt zu werden, wenn die Frau deines Nachbarn wieder mal oben ohne am Pool liegt.


Wer solche und andere Prüfungen in seinem Leben besteht, der kann die wahre Natur der Realität schon sehr bald erreichen und letztendlich Nirvana erlangen (was vermutlich auch nur wieder eine weitere Karotte ist).

Andernfalls, sagt Buddha, beginnt genau an dieser Stelle der ganze Kreislauf des Leidens für dich wieder von vorne. Denn wenn du dich an diesem 8. Pfad ablenken lässt, so kannst du die Welt nicht sehen, wie sie ist (1.Pfad). Wenn du die Welt nicht siehst, als das, was sie ist, wirst du trotz bester Absicht dennoch denken wie ein Arsch (2. Pfad). Und als Arsch redest du nicht nur Scheiss (3. Pfad), sondern benimmst dich auch wie einer (4. Pfad). Daher ist es dir egal, wie du zu Geld kommst (5. Pfad). Und weil du kein Gewissen mehr hast und nur auf den eigenen Vorteil bedacht bist, orientierst du dich nur noch an kurzfristige Befriedigung (6. Pfad). Womit deine Selbstwahrnehmung komplett im Eimer ist (7. Pfad). Weshalb du dich dann auch durch jeden Schwachsinn ablenken lässt und das Nirvana für dich somit auf immer und ewig flöten geht (8. Pfad).


Also, sagt Buddha, tue dir selbst einen Gefallen: Meditiere und übe dich in Achtsamkeit!


Und weil Buddha kein Theoretiker war sondern ein echter Pragmatiker, hat er noch einen oben drauf gesetzt und noch etwas gesagt:


«Tu es oder tu es nicht, aber höre auf, es zu versuchen.»


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