Eine Königin, die sagen muss, ich bin eine Königin, ist keine Königin.
Die Bezeichnung «Power-Frau» wird oft verwendet, um starke, unabhängige und erfolgreiche Frauen in verschiedenen Bereichen zu beschreiben. Und obschon diese Bezeichnung positiv gemeint ist und die Leistungen von Frauen hervorheben soll, gibt es so einige Argumente, die darauf hindeuten, dass die Verwendung dieses Begriffs nicht unbedingt förderlich für die Interessen der Frau ist.
Warum die Bezeichnung «Power-Frau» mehr schadet als nützt.
Die Bezeichnung «Power-Frau» ist ein zweischneidiges Schwert:
Einerseits etabliert die Bezeichnung innerhalb des weiblichen Geschlechts eine implizite «Zweiklassengesellschaft», nämlich zwischen Frauen mit vermeintlicher «Power» und jenen ohne «Power», wodurch eine interne Hierarchie und eine Spaltung unter den Frauen gefördert wird.
Andererseits agiert der Begriff als ein Instrument des Widerstands, bzw. der Herausforderung gegenüber männlich dominierten Normen und Strukturen, indem er signalisiert: «Liebe Männer, sehet her, auch wir können», und betont somit die Fähigkeit und Leistung von Frauen in traditionell männlich geprägten Domänen.
Beide Szenarien erscheinen mir etwas unglücklich. Ersteres kann nicht im Interesse der Frauen liegen und Letzteres wirkt erzwungen, wenn man sich als Kontrast dazu die Tatsache vor Augen hält, dass Männer selten bis nie das Bedürfnis haben, das Attribut «Power» explizit zu verwenden, um ihren Erfolg oder ihre Stärke zu betonen.
«Power-Frau» als Unterscheidungsmerkmal.
Keine «Power-Frau» hat je die Absicht mit dieser Selbstkrönung ihr eigenes Geschlecht zu torpedieren. Aber genau das ist der Nebeneffekt, der dabei entsteht. Die Erzeugung dieser «Zweiklassengesellschaft» unter Frauen durch die Selbsternennung als «Power-Frau» untergräbt die Idee der Solidarität und Gleichheit, für die sich ja gerade die Mehrheit der Frauen so stark einsetzt.
Die Betonung von «Power-Frau» schafft ein Unterscheidungsmerkmal, das implizit andere Frauen als weniger erfolgreich oder einflussreich kennzeichnet, was besonders dann wenig sinnvoll ist, wenn das erklärte Ziel darin besteht, sich von männlich dominierten Normen und Strukturen zu distanzieren und abzuheben.
Wenn Frauen versuchen, sich durch das Label «Power-Frau» in einem positiven Licht darzustellen, verstärkt das unbeabsichtigt die geschlechtsspezifischen Stereotypen, die in der Gesellschaft ohnehin schon vorherrschen. Eine solche Strategie fördert nicht nur eine unnötige Konkurrenz innerhalb des weiblichen Geschlechts, sondern verstärkt unbeabsichtigt auch die bestehenden Ungleichheiten zwischen Mann und Frau.
«Power-Frau» – eine Bezeichnung voller Widersprüche.
Das Streben der Frauen nach Differenzierung von männlich dominierten Strukturen und Normen durch das Label «Power-Frau» trägt eine Ironie in sich. Obwohl das Ziel darin besteht, sich von den patriarchalen Hierarchien zu distanzieren, führt die Anwendung eines solchen Begriffs ungewollt zur Schaffung einer neuen Hierarchie unter Frauen selbst. Das steht in einem paradoxen Widerspruch zu dem Vorwurf gegenüber Männern, denn genau solche hierarchischen Strukturen werden oft als Merkmal männlich geprägter Gesellschaftssysteme kritisiert. Indem Frauen versuchen, sich mit dem Begriff «Power-Frau» von traditionellen Rollenbildern abzugrenzen, riskieren sie, unbeabsichtigt die Mechanismen zu replizieren, die sie zu überwinden suchen.
Allein schon das Wort «Power» erzeugt ein Gefälle, nämlich zwischen jenen mit Power und jenen ohne Power. «Power» ist, per Definition, ein hierarchisches Wort.
Es erscheint daher etwas paradox, wenn selbsternannte «Power-Frauen» zu Veranstaltungen einladen, die sich dem Thema Gleichheit und Inklusion widmen, aber diesen inhärenten Widerspruch in ihrem Ansatz nicht erkennen.
Indem sie sich selbst als «Power-Frauen» etablieren, schaffen sie eine implizite Trennlinie zu Frauen, die nicht unter dieses Label fallen. Dieses Vorgehen steht im Gegensatz zu ihrem erklärten Ziel, andere Frauen unter dem Gedanken der Gleichheit zu stärken und einzubinden. Das Paradoxe liegt darin, dass der Versuch, eine Lösung dieser Gleichheit zu schaffen, oft das Gegenteil bewirkt und ungewollt eine Klassentrennung unter Frauen verstärkt. Anstatt zu Einheit und Geschlossenheit zu führen, entsteht eine Spaltung in «ihr» und «wir».
Aus marketingtechnischer Sicht mag diese Strategie für die jeweiligen Frauen durchaus sinnvoll erscheinen, da sie Aufmerksamkeit generiert und die Veranstalterinnen als Vorbilder positioniert. Doch wenn man genauer hinsieht, wirkt dieses Vorgehen etwas heuchlerisch, denn es untergräbt die Botschaft der Gleichheit und Inklusion, während es doch gleichzeitig hierarchisches Denken demonstriert.
Diese Situation offenbart einen unglücklichen Teufelskreis: Solange einige Frauen als «Power-Frauen» etikettiert werden, ist diese Hierarchie allgegenwärtig. Und jene Frauen, die dieses Label nicht erhalten, scheinen in der öffentlichen Wahrnehmung zurückzubleiben. Und wenn alle Frauen als «Power-Frauen» gelten würden, wäre das Attribut «Power» redundant und verlöre seine Bedeutung als Unterscheidungsmerkmal.
Selbstverständlich erkennen viele Frauen diese Ironie. Weshalb auch ein Grossteil von ihnen sich an dieser Etikettierung stört und sich davon distanziert.
Darüber hinaus birgt die Betonung der «Power»-Komponente die Gefahr, dass der Druck auf Frauen unnötig steigt, sich in einer bestimmten Weise zu präsentieren, um als erfolgreich oder einflussreich wahrgenommen zu werden. Die Konsequenz ist eine verstärkte gesellschaftliche Erwartungshaltung, die nicht nur unrealistische Standards setzt, sondern auch die Selbstwahrnehmung und das Wohlbefinden von vielen Frauen beeinträchtigen kann.
Und ganz zu schweigen davon, entsteht dabei auch das Gefühl, dass Macht und Erfolg extern validiert werden müssen, was auch hier im Widerspruch zu der Auffassung steht, dass wahre Stärke und Autonomie auch in leisen Taten liegen können.
Was Männer unter «Power» verstehen.
Beim Stichwort «Power-Frau», hebt sich beim Mann lediglich eine Augenbraue der Verwunderung. Das ist nicht böse oder abschätzig zu verstehen. Es ist vielmehr ein antrainierter Reflex, weil Männer einen anderen Zugang zu diesem Begriff haben.
Männer sind tendenziell hierarchisch sozialisiert. Jemand, der dich auf dem Schulhof herausfordert, braucht sich nicht als «Power-Boy» zu positionieren. Die Herausforderung selbst sendet bereits eine klare Botschaft.
Ein Mann lernt im frühen Alter auf dem Schulhof, dass wir nicht alle gleich sind. Wir wissen, es gibt grosse Männer und es gibt kleine Männer. Es gibt starke Männer und schwache Männer. Es gibt dumme Männer und intelligente Männer. Es gibt fähige Männer und unfähige Männer. Es gibt gefährliche Männer und harmlose Männer, und so weiter und so fort. Ein Junge, der das nicht kapieren will, wird diese Realität vor dem Unterrichtsbeginn, während der Pausenzeit und auch auf dem Nachhauseweg von der Schule relativ schnell zu spüren bekommen.
Männer, anders wie Frauen, machen kein grosses Geheimnis daraus, dass wir nicht alle gleich sind. Männer wissen, dass es Männer mit und ohne Power gibt. Ergo entsteht eine Hierarchie.
Männer wissen ebenso, dass es auch Frauen mit und ohne Power gibt. Männer sind jedoch ziemlich irritiert, wenn Frauen dasselbe Hierarchiespiel spielen wie die Männer, gleichzeitig aber die Spielregeln dieses Spiels nicht wahrhaben und akzeptieren wollen.
Das ist in etwa so, wie wenn jemand beim Schachspiel die Figuren bewegen möchte, ohne die Regeln zu befolgen. Ein solches Verhalten führt zu Verwirrung und Frustration unter den Mitspielern. In ähnlicher Weise erzeugt es Verwirrung, wenn Frauen die Hierarchie und Machtdynamik innerhalb ihres Geschlechts erkennen und für sich nutzen wollen, aber gleichzeitig die damit verbundenen gesellschaftlichen Spielregeln infrage stellen und ablehnen.
Wenn unter Männern jemand explizit den Anspruch auf «Power» stellt, dann erwarten wir, dass diese Person diese Rolle einnimmt und sich an die Spielregeln hält. Wenn aber der König auf dem Schachbrett sich auf einmal wie ein Bauer verhält, so ist das für einen Mann problematisch. Einen auf «wir sind alle gleich» machen, funktioniert dann in diesem Spiel nicht. Wird die Rolle bestätigt, gilt unter Männern viel eher die Haltung «Du bist anders wie wir. Wir sind nicht gleich. Du bist der mit der Power, deshalb respektieren wir dich».
Dasselbe gilt für die «Power-Frau», bzw. die Dame – die stärkste Figur auf dem Schachbrett. Wenn auch die Dame ebenso anfängt, sich wie ein Bauer zu verhalten, ist das nicht minder problematisch.
Männer, die oft in solchen hierarchischen Strukturen denken, reagieren skeptisch auf offensichtliche Versuche, sich einerseits mit überlegenen Labes zu präsentieren und andererseits einen auf «Gleichheit» zu machen. Das Label «Power» und «Gleichheit» im selben Satz auszusprechen, ist für Männer ein Widerspruch, der kaum erträglich ist.
Schon früh lernen wir, die subtilen Zeichen von Dominanz und Unterlegenheit zu erkennen. Und wenn ein Mann den Raum betritt, dann erkennen wir relativ schnell, ob es sich um einen Mann mit oder ohne Power handelt. Das gilt im Übrigen genauso in Bezug auf Frauen.
Wenn eine Frau den Raum betritt, erkennen Männer in der Regel ebenso, ob es sich bloss um eine «Power-Frau» handelt oder doch eher um eine Frau mit Power.
Das ist keine semantische Wortspielerei, sondern ein ganz natürliches Verständnis sozialer Dynamiken und Machtverhältnisse, das über blosse Worte hinausgeht.
Denn schliesslich gilt für Männer wie für Frauen: Nicht die Position macht den Leader aus, sondern der Leader macht die Position aus.
Die Kunst der mühelosen Power
Als ich noch ein pubertierender Teenager war, der ziemlich angestrengt versuchte, seinen eigenen Stil zu finden, und meine Mutter mich vor dem Spiegel ertappte, pflegte sie oftmals mit einer etwas herablassenden Stimme zu mir zu sagen: «Zu gewollt!»
Ob ich nun durch modische Features versucht habe mich zu definieren oder auf irgend sonst eine Weise Eindruck zu schinden versuchte, hörte ich immer wieder: «Zu gewollt!»
Damit machte mir meine Mutter verständlich, dass es zu offensichtlich sei, dass ich etwas Besonderes darstellen will. Und wenn es so offensichtlich wird, dann verliert es seinen Zauber.
Die Bezeichnung «zu gewollt» ist im Grunde das Gegenteil der mittlerweile etablierten neu-deutschen Bezeichnung von «effortless», was bedeutet, dass etwas mit scheinbarer Leichtigkeit und ohne erkennbare Anstrengung erreicht wird.
«Effortless» steht für eine Art von Natürlichkeit, die in ihrer Einfachheit und Ungezwungenheit besticht. Wenn jemand als «zu gewollt» wahrgenommen wird, impliziert das, dass zu viel Anstrengung in das Erscheinen oder in die Darstellung investiert wurde, was oft als Mangel an Echtheit interpretiert wird. Das führt in der Regel eher dazu, dass die Person ihre Anziehungskraft verliert, weil die Bemühungen zu offensichtlich und damit weniger ansprechend wirken. Ergo geht der Zauber verloren.
Und gerade in einer Kultur wie der unsrigen, wo «effortless» als Ideal gefeiert wird, von der Mode bis hin zu sozialen Interaktionen, wird die Fähigkeit, Dinge mühelos zu vollbringen, hoch geschätzt. Es suggeriert Kompetenz und Selbstvertrauen, zwei Attribute, die in vielen Bereichen des Lebens als erstrebenswert gelten.
Die gleiche Dynamik spielt auch in der Diskussion um «Power-Frauen» eine wichtige Rolle. Die Bezeichnung «Power-Frau» ist «zu gewollt» würde meine Mutter sagen. Power-Frau bekommt schnell einmal den Beigeschmack eines Proteinriegels.
Eine Frau, die ihre Stärke und Kompetenz natürlich und «effortless» ausstrahlt, ohne die Notwendigkeit zu spüren, dass durch ein Qualitäts-Attribut zu betonen, wird oft als echter und damit als mächtiger wahrgenommen. Im Kontrast dazu kann eine «zu gewollte» Darstellung von «Power» als kompensatorisch empfunden werden.
Und genau deshalb weiss auch eine echte Königin, dass sie ihre gesamte Macht verspielt hat, wenn sie betonen muss, dass sie eine Königin ist.
Die trügerische Natur von Macht und Stärke
Macht ist etwas Seltsames. Sie wird nicht über dein Bankkonto definiert, nicht über deinen Besitz, nicht über dein Aussehen, nicht über deine Körpermasse, nicht über deine Zertifikate, nicht über deinen Titel, nicht über dein Netzwerk, nicht über deine berufliche Position, nicht über deinen sozialen Status und was weiss ich noch alles. Diese Dinge mögen vielleicht Verstärker von Macht sein, aber sie haben nicht direkt etwas mit Macht zu tun.
Der wichtigste Faktor von Macht ist die Geschichte, die andere in ihrem Kopf über dich spinnen. Diese Narration bestimmt, wie Menschen dich wahrnehmen. Sie beeinflusst, wie sie mit dir interagieren und formt letztendlich deine soziale Realität. Macht liegt somit in der Fähigkeit, die eigene Geschichte zu kontrollieren und zu gestalten – eine Geschichte, die Respekt, Bewunderung oder manchmal sogar Furcht hervorruft.
Daher sagte Machiavelli: «Macht, ist glauben machen.»
Eine Frau, die das Attribut «Power» vor ihr Geschlecht setzt, will etwas Bestimmtes damit bezwecken. Sie will ein Statement abliefern. Sie will sich von anderen Frauen abheben. Sie will ihre Geschichte in den Köpfen der anderen Menschen bestimmen. Sie will beeinflussen, wie sie wahrgenommen wird. Sie will für ihre Leistungen respektiert werden.
Nun kann ich an dieser Stelle nicht für alle sprechen, aber ich kann guten Gewissens für einen grossen Teil der Männer sprechen. Und Männer respektieren weder Frauen noch andere Männer, die Attribute als Verstärker benötigen, um ihre Power zu demonstrieren. Es wird sogar das Gegenteil damit erreicht: Der Respekt sinkt umgehend in den Keller, während gleichzeitig die Erwartungshaltung in das Gegenüber steigt.
Eine solche Ausgangslage ist wenig hilfreich.
Das kann weder im Interesse der «Power-Frauen» sein noch im Interesse der Frauen mit Power.
Die Stimme der weiblichen Power.
Eine Power-Frau ist nicht gleichzusetzen, wie eine Frau mit Power. Ersteres sagt sich einfach daher, Letzteres ist hart verdient.
Es waren nicht die lautesten Frauen, die Grosses in der Welt bewirkt haben. Aber es waren auch keine leisen Töne, mit denen sie Geschichte geschrieben haben. Eine Frau mit Power kann laut sein, ohne Lärm zu erzeugen.
Melinda French Gates, die Ex-Frau von Bill Gates, bemerkte einmal: «Eine Frau mit einer Stimme ist, per Definition, eine starke Frau».
Diese Stimme der Stärke, bekommt man nicht geschenkt. Als Frau schon gar nicht – weder durch Selbsternennung noch durch Vererbung. Es ist diese Stimme der Stärke, die Selbstbewusstsein, Entschlossenheit und oft einen langen Kampf gegen Widerstände erfordert. Eine Stimme, die zu einem mächtigen Werkzeug der Selbstbehauptung und des Einflusses wird.
Die Herausforderung und der Wert dieser Stimme offenbaren sich besonders dann, wenn man die Worte einer Frau mit Power hört, die durch ihre Entschlossenheit und ihre wahre Macht beeindruckt und Geschichte geschrieben hat.
Madeleine Albright, die als erste Frau das Amt der Aussenministerin der Vereinigten Staaten bekleidete, verkörperte eindrucksvoll die Bedeutung einer solchen Stimme. Und es kommt nicht von ungefähr, dass sie ausgerechnet diese Botschaft für die Frauen hinterlassen hat:
«Ich habe ziemlich lange gebraucht, um eine Stimme zu entwickeln, und jetzt, wo ich sie habe, werde ich nicht schweigen.»
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Wie man klare Grenzen zieht
und durch gezielte Konfrontation sich erfolgreich durchsetzt und kommuniziert